Gunn, James (Hrsg.) Bibliothek der Science Fiction Literatur - Wege zur SF 2
Von Wyndham bis Stableford
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»Von Wyndham bis Stableford« (Bibliothek der Science Fiction Literatur - Wege zur SF 2) von Gunn, James (Hrsg.)
Nach langer Wartezeit ist es geschehen. Heyne hat den Mut gehabt, die wohl einmalige Edition „Bibliothek der Science Fiction Literatur“ fortzusetzen. Nach der mehrjährigen Pause hatte man als Fan und Sammler kaum noch Hoffnung, dass der Verlag wenigstens die größere der beiden Lücken dieses Reihe schließen würde. Um so schöner, dass in relativ kurzem Abstand die Bände 100 „Von Shelley bis Clarke“ und 101 „Von Ballard bis Stableford“ editiert wurden. Beide ergeben zusammen den fünften Teil der interessanten Science Fiction Anthologie „Wege zur Science Fiction“ (hier Band 11 und 12), die einen gelungenen Spagat zwischen Unterhaltung und Sachbuch darstellen. Während die Teile 1 bis 4, die in Deutschland die Nummern 90 bis 99 der „Bibliothek der Science Fiction Literatur“ belegen, sich vorrangig der amerikanischen Science Fiction Literatur zuwenden, befasst sich der 5. Band mit dem „Britischen Weg“.
Der zeitlich große Abstand zwischen Band 99 und 100 ist auch mit Problemen des amerikanischen Verlegers zu begründen. So ging der Verlag, welcher die ersten Bände herausbrachte Konkurs. Erst 1998 fand sich mit White Wolf Publishing eine Möglichkeit, die Edition fortzusetzen und mit Band 6 „Around the world“ zu beenden. Dieser letzte Teil betrifft dann die Science Fiction Literatur anderer Staaten, so z. B:. Deutschland aber auch solcher Länder wie Indien und China. Es bleibt zu hoffen, dass Heyne sein Versprechen einlösen kann, diesen letzten Teil mit den Bänden 102 und 103 zu veröffentlichen. Angesichts des etwas reduzierten Angebotes an dieser Literatur in der letzten Zeit, ist eine gewisse Besorgnis nicht unberechtigt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass derartige Anthologien, die in einer Reihe erscheinen, die eigentlich schon vor Jahren beendet wurde, es nicht ganz leicht am Markt haben dürften.
Alle Bände wurden von dem 1923 im amerikanischen Kansas geborenen Schriftsteller James E. Gunn zusammengestellt und kommentiert. Der erste Band der „Wege zur Science Fiction“ entstand 1977.
Der zwölfte und bisher letzte Teil der deutschsprachigen Ausgabe mit dem Titel „Von Ballard bis Stableford“ befasst sich mit aktuelleren britischen Science Fiction Autoren, deren Stories im Original zwischen den Jahren 1960 und 1986 liegen. Insgesamt werden dem Leser 18 teilweise hochinteressante und spannende Geschichten von 16 Verfassern vorgestellt. Brian W. Aldiss und James Graham Ballard wurden zwei Geschichten durch James Gunn zugebilligt. Obwohl jeder Leser anderer Ansicht sein kann, sei an dieser Stelle gesagt, dass gerade diese Stories ihre volle Berechtigung in der Anthologie haben. Allein die köstliche und gleichzeitig betroffen machende Kurzgeschichte „Der ertrunkene Riese“, der an den Strand eines Ortes gespült zuerst Aufsehen erregt, dann aber schon als gegeben hingenommen wird und der schließlich verarbeitet wird und teilweise sogar verwest, ist die nicht ganz unerhebliche Investition für dieses Buch wert.
Genial sind beide Geschichten von Aldiss, die aus den Jahren 1969 und 1976 stammen. In beiden Geschichten spielt die Rolle des Menschen in der Zukunft eine Rolle. In „In den Raumschiffdocks“ zeigt sich die Veränderung für die Menschen, die sich durch die Erschaffung von Androiden ergeben. Fast schon eine Karikatur der menschlichen Gesellschaft stellt die Beschreibung von verarmten und bettelnden Androiden dar, die von jüngeren Androiden gejagt und geschlagen werden.
Beunruhigend ist das Ende von „Anschein von Leben“ des gleichen Autors. Ein Generalsucher der Erde kommt auf einem fernen Planeten, auf dem ein gigantisches Museum in Gebäuden einer verschwunden Rasse namens Korevavulaw entsteht, zu der für ihn unglaublichen Erkenntnis, dass auch die Menschheit nur eine Projektion ist und es vielleicht sogar jene sagenhaften Korevavulaw waren. Um diese universelle Enttäuschung zu verarbeiten kehrt er nicht mehr heim, sondern lebt danach auf einem einsamen Planeten und erspart so den Menschen die enttäuschende ultimative Antwort.
Unbedingt lesen sollte man die Story von John Brunner „Die sehr Reichen“, die nicht nur deren Dekadenz aufzeigt, sondern auch die zum Teil unglaubliche Gefühlsarmut offenbart. Bemerkenswert, wenn auch ein wenig gewöhnungsbedürftig sind David J. Masson’s „Der Schlund der Hölle“ und Christopher Priest’s „Ein endloser Sommer“. Letztere erzählt von einem verliebten jungen Mann, der von sogenannten Friesern mit einem seltsamen Gerät beobachtet und aufgenommen wird und so zu einem Tableau wird. Erst 22 Jahre später erwacht er aus dem Zustand der Starre, doch seine Freundin bleibt darin gefangen. Während er die seltsamen Wesen mit ihren merkwürdigen Geräten sehen kann, bleiben sie für die übrige Welt unsichtbar. Es stellt sich heraus, dass die Wesen nicht nur schaden, doch was aus den Menschen, die erstarren und für andere unsichtbar werden endgültig wird, wird nicht eindeutig geklärt. Für den Helden der Kurzgeschichte ergibt sich nur ein scheinbares Happy End.
Lesen sollte man wirklich alle Geschichten des Buches, wenn auch die Story von Michael Moorcook nicht den Gefallen des Rezensenten gefunden hat. Die letzte Erzählung, welche von Brian Stableford stammt, zeigt noch einmal die Vielfältigkeit der englischen Science Fiction. Hier wird eine ungewöhnliche Variante aufgezeigt, wie man Unsterblichkeit erlangen kann. Wirklich bemerkenswert.
James Gunn hat zu allen Autoren und ihren Werken eine kurze aber informative Einführung geschrieben. Diese Einleitung gewährt dem Leser einen knappen Einblick auch zu Herausgebern und Magazinen, wo diese Geschichten veröffentlicht wurden. Bei Brian W. Aldiss ist sich der Rezensent fast sicher, dass sich wahrscheinlich durch die Übersetzung ein kleiner Fehler eingeschlichen hat. Den John W. Campbell Award erhielt Brian W. Aldiss für den ersten Teil der bedeutenden Helliconia – Trilogie „Helliconia: Frühling“ und nicht für den dritten Band “Helliconia: Winter”.
Hervorzuheben ist, dass mit Tanith Lee und Josephine Saxton auch zwei Damen der schreibenden Zunft in die Auswahl aufgenommen. Gerade die märchenhafte Geschichte der letzten Frau auf der Erde „Zeichen im Wasser“ von Tanith Lee überrascht und schockt sogar ein wenig.
Einigen der Autoren, die im 12. Band der „Wege zur Science Fiction“ Berücksichtigung fanden, wurden in der „Bibliothek der Science Fiction Literatur“ schon mit zum Teil umfangreichen Romanen berücksichtigt. Dies trifft beispielsweise auf Bob Shaw, Ballard und Aldiss zu.
Wer mit dem 12. Band der „Wege zur Science Fiction“ zufrieden ist, sollte sich unbedingt den Vorgänger zulegen. Die 17 dort vorgestellten Autoren repräsentieren einen früheren Abschnitt der englische phantastischen Literatur. Allerdings ist hier die Titelwahl des Buches nicht ganz glücklich. Mary Shelley ist direkt mit keiner Geschichte vertreten und der Band endet mit einer Story von John Wyndham. Dies aber als wirklichen Mangel zu bezeichnen, wäre übertrieben. Der große Vorteil des 11. Bandes ist sicher die hervorragende Einführung, die sich natürlich auf beide Bücher bezieht.
Insgesamt sind der 11. und der etwas näher beleuchtete 12. Band der „Wege zur Science Fiction“ in der „Bibliothek der Science Fiction Literatur“ hervorragende Beispiele für eine rundum gelungene Anthologie. Allzu lange sollte man mit dem Kauf nicht warten, da diese Bände sicher keine Nachauflage erleben werden und die Auflagenhöhe eher klein sein dürfte.
Hervorzuheben ist außerdem, dass Heyne diesmal nicht die Reihengestaltung verändert hat. Dies geschah und geschieht noch viel zu häufig bei länger laufenden Zyklen und Serien (z. B. Conan, Shadowrun). Wünschenswert wäre es, die Bände 13 und 14 als Nummer 102 und 103 der „Bibliothek der Science Fiction Literatur“ noch zu veröffentlichen. Und dann hat sicher jeder Sammler dieser Kollektion nur noch einen Wunsch. Könnte Heyne nicht endlich ein Buch für die immer noch fehlende Nummer 88 nachreichen. Ursprünglich sollte ja von Jerry Yulsman „Elleander Morning“ erscheinen. Es ist zu schade, dass sich in diese gediegene Reihe eine Chimäre einschleichen konnte. Eine vollständige Ausgabe in 105 Bänden dürfte den Wert des Sammlung beträchtlich steigern und dem Anliegen dieser Edition noch besser gerecht werden.
Der Band „Von Ballard bis Stableford“ wird mit 9+ bewertet. Diese Aussage lässt sich unbesehen auch auf den Vorgängerband übertragen.