Evangelisti, Valerio Inquisitor-Zyklus 4
Das Geheimnis des Inquisitors
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»Das Geheimnis des Inquisitors« (Inquisitor-Zyklus 4) von Evangelisti, Valerio
Hatte der Rezensent den Heyne Verlag für die bemerkenswerte Termintreue hinsichtlich des mittlerweile als nahezu genial zu bezeichnenden Inquisitor–Zyklusses von Valerio Evangelisti gelobt, wurden nun die alten „Tugenden“ von Heyne auch auf diese Serie ausgedehnt. So durfte der interessierte Leser drei Monate länger auf den vierten Teil um Nikolas Eymerich mit dem Titel „Das Geheimnis des Inquisitors“ warten. Doch die Geduld hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Zeitlich ist der Handlungsstrang um Eymerich vor den deutschen Bänden 2 und 3 einzuordnen. Im Jahre 1354 macht sich eine Flotte um König Peter IV. zu einem Kreuzzug gegen das abtrünnige Sardinien auf, welches von Mariano IV. regiert wird. Erstaunlicherweise muss der Inquisitor an dieser Strafexpedition teilnehmen, da die Unternehmung eher eine weltliche Angelegenheit darstellt. Doch merkwürdige Dinge geschehen vor der Ankunft. Seltsame Wesen werden im Meer gesichtet, man hört von Häresie auf der Insel, die von Mariano geduldet, ja sogar gefördert wird. Ein Schiff taucht vor der königlichen Flotte auf und ein Adliger stirbt kurz darauf eines furchtbaren Todes. Alghero wird von der Armee des Königs von Aragon belagert. In dieser Zeit stößt Eymerich auf immer mehr Rätsel und wagt sich schließlich aufgrund eines mehr als tollkühnen Plans in die angegriffene Stadt. Er kommt zum Herrscher der Insel und erlebt an sich eine fast wundersame Heilung. Doch der „gute“ Großinquisitor wäre nicht er selbst, würde er nicht zielstrebig seinen Plan verfolgen. Der Sohn Marianos Ughetto erkennt, wer da wirklich in die Stadt gekommen ist, doch verrät er Nikolas Eymerich nicht. Vielmehr unterrichtet er den Inquisitor über einen großangelegten Verrat, der an Peter IV. geplant ist. Ein Königsmord bahnt sich an. Ughetto und seine Mutter wollen zu Peter IV. überlaufen, deshalb wird Eymerich geholfen und er gelangt in die geheimnisvolle Neptungrotte, wo vielerlei Wunderheilungen stattfinden. Durch den Mönch Lorenzo erfährt er mehr über das Geschehen, so z. B. von beeindruckenden Heilungen, doch das meiste davon ist nicht mit dem Glauben des Inquisitors zu vereinbaren. Er erfährt vom Kampf zwischen dem Guten und Bösen, die sich hier in der Form des Sardus Pater und dem furchtbaren Tanit manifestiert haben sollen. Mit einer List lockt er den Mönch in das Lager von Peter IV., um dort gegebene Versprechen ohne Skrupel zu brechen. Er warnt Peter IV. vor der Gefahr und deutet eine Möglichkeit an, sich der entlarvten Adligen heimlich zu entledigen. Beim Verhör von Lorenzo erkennt Eymerich das wahre Anliegen der Mönche dieser Insel und er gestattet dessen Freilassung. Dagegen erweist er sich beim Fall der Stadt und der Vernichtung der Grotte und der damit verbundenen „Dämonen“ rücksichtslos. Doch ob dies für immer gelungen ist, weiß selbst der Inquisitor nicht. Und plötzlich steht Nikolas Eymerich in der Schusslinie des Königs von Aragon, denn auch hier hat der Inquisitor das wirklich „große Spiel“ durchschaut.
In einer parallel laufenden Handlung wird der Leser mit dem Leben des österreichischen Wissenschaftlers Wilhelm Reich konfrontiert, der in den Wirren der Nazizeit und danach die Entdeckung seines Lebens macht. Er kommt einer neuen Energieform, der sogenannten Orgonenergie auf die Spur. Diese scheint hinsichtlich Krankheiten wie Krebs bedeutsam zu sein, da es mittels dieser Energieform möglich sein könnte, bestimmte T-Bazillen zu bekämpfen. Und dies erfolgt durch sogenannte Bionen, die blau unter dem Mikroskop leuchten. Doch Reich hat viele Gegner und was die Nazis nicht schafften, gelingt einem mächtigen Konzern. Er landet in der Irrenanstalt. Hier erlebt der Leser die Schizophrenie des Doktors, da dieser mit einem neuartigen Medikament auf eigenen Wunsch behandelt wird. Unter schrecklichen Vorstellungen leidend, sieht er sich dabei den Verhören des Inquisitors Eymerich ausgesetzt. Dieser entlarvt bestimmte Geheimnisse aus Reichs Lebensgeschichte, doch schließlich bleibt Reich doch der scheinbare Sieger. Denn Reich erkennt in Eymerich eine tote Sache.
Und dann gibt es noch die Abteilung Zukunft. In mehreren sich nach und nach verbindenden Einzelhandlungen, lernt der Leser eine USA kennen, die keinesfalls erstrebenswert ist. Es ist die Zeit nach Präsident Doyle, der aus dem Band „Das Blut des Inquisitors“ bekannt sein dürfte. Die Sichelzellenanämie ist eine gefährliche Seuche geworden. Das Land ist in mehrere Gruppen zerfallen. So gibt es die Union, die New Federation und die Confederation (hier hört man von Reverend Mallory, bekannt aus Teil 1 des Zyklusses). In allen Teilstaaten werden die Menschen mittels Irrlehren unterdrückt und überall gibt es einen ganz bestimmten Ort, der gefürchtet wird. Es ist Lazzarett, von dem man kaum etwas weiß, doch bei Verstößen oder schlimmer Krankheit wird man dorthin deportiert. Drei junge „Helden“ erleiden dieses Schicksal und scheinen die Hölle kennen zu lernen. Mit Hilfe eines gewissen Davids dringen sie in eine unheimliche Grotte ein und dann ist da jenes blaue Licht. Könnte dies die große Rettung sein?
Nach Meinung des Rezensenten ist der vierte Band des Inquisitor–Zyklusses der bisherige Höhepunkt. Waren die Vorgänger alle spannend und sehr interessant, so ist dieser Roman durchweg überzeugend. Man mag sich von keiner der Erzählebenen trennen. Evangelisti gelingt es auch diesmal in unnachahmlicher Art eine atemberaubende Spannung zu erzeugen und immer wieder zu überraschen. Eine bemerkenswerte Aussage wird durch den Großinquisitor selbst getroffen: „Wisset also, dass ein Inquisitor lügen darf, täuschen, falsche Versprechungen machen, verbergen, irreführen, wenn das dem Interesse der Christenheit dient.“(S. 141). Und auf diesem Terrain ist Eymerich der Meister in seiner Zeit (und darüber hinaus). Gerade erst 34 Jahre versteht er mehr vom Streben nach Macht und der Durchsetzung dieser als viele schon lange herrschende Personen.
Aber trotz seines fast schon christlichen Fanatismus ist Eymerich noch lernfähig und weiß um Probleme, die es zu seiner Zeit noch mit Wort Gottes gab. So hofft er inständig, dass sich die Lehre von Thomas von Aquin endlich durchsetzt (alles Reine ist bei Gott und der Geist ist rein und das Fleisch ist verdorben), um Abweichlern weniger Spielraum zu geben.
Überzeugend werden die Angst des Nikolas Eymerich vor Berührungen sowie Krankheiten und dessen Ekel vor Schmutz und Ungeziefer beschrieben.
Obwohl die Handlung noch vier Jahre vor „Das Blut des Inquisitors“ spielt, gelingt Evangelisti eine überzeugende Verbindung zu den bisher erschienenen Bände. Dies gilt besonders für seine Zukunftsvisionen, die schon fast neben denen von Orwell und Huxley bestand haben können. Ob sich der Autor noch weiter in die Zukunft wagen wird, bleibt aus bestimmten Gründen abzuwarten.
Mit „Das Geheimnis des Inquisitors“ wird der Leser hervorragend unterhalten und erhält außerdem einen spannenden Geschichtsunterricht.
Dass Heyne die Reihenfolge der Bände 2 und 3 vertauscht hat, ist nicht sehr schlimm, obwohl die meisten Bezüge auf „Das Blut des Inquisitors“ hindeuten, der im Original im selben Jahr wie Band 4 offeriert wurde. Die Cover der Serie sind gewöhnungsbedürftig, da sie meist nur wenig auf die Handlung hindeuten. Das Bild, das nun wirklich kein „Brüller“ ist, hätte auch gut zu einem Vampirroman gepasst, doch das ist eine Ansichtssache des Rezensenten.
Dieser herausragende vierte Teil wird mit 9 bewertet und man kann nur hoffen, dass der Heyne-Verlag seine Leser nicht zu lange auf „Die Versuchung des Inquisitors“ warten lässt. Und in Italien soll es schon zwei weitere Bände geben. Möge diese Information zutreffend sein.